So kommentiert Deutschland: Böhmermann“Diesen Kotau vor Erdogan hätte Angela Merkel uns wahrlich ersparen können“

Zwei Wochen lang hielt die Böhmermann-Affäre Deutschland in Atem. Nun hat die Bundesregierung endlich entschieden: Sie lässt das Strafverfahren zu. Ein richtiger Schritt oder ein Einknicken vor Erdogan? So kommentiert die deutsche Presse.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „(…) In den Händen unabhängiger Richter ist der Fall Böhmermann (…) gut aufgehoben – viel besser als in den Händen der Politik. Denn die muss bei einer Beurteilung (…) auf politische Aspekte Rücksicht nehmen: auf außen-, innen- und sogar noch koalitionspolitische. Merkel, die mit ihrer ersten Stellungnahme zu der Affäre einen Fehler beging, traf mit der Ermächtigung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung (…) die richtige Entscheidung: Übertragung des Falles an die unabhängige Justiz. Auch den Ruhm der Kanzlerin mehrt diese Affäre freilich nicht. Sie muss nun mit dem Vorwurf schon von Seitender SPDleben, sie sei in einer Prinzipienfrage vor einem Potentaten mit üblem Ruf eingeknickt, weil von dessen Wohlverhalten in der Flüchtlingsfrage letztlich ihr eigenes politisches Schicksal abhänge.(…)“

„Die Welt“: „Diesen elenden Freitag, diesen Kotau vor RecepTayyip ErdoganhätteAngela Merkeluns wahrlich ersparen können. Wird Böhmermann freigesprochen, hat die Bundeskanzlerin ein neues Erdogan-Problem. Dann würde das Gericht ja trotz Merkels Genehmigung zur Strafverfolgung bestätigen, dass ein Satiriker dem großen Osmanen allerlei unerhörte Dinge nachsagen darf. Jemand wie der türkische Präsident lässt sich nicht am eigenen Leibe über den deutschen Rechtsstaat belehren, und um den eigenen Leib, die eigene Ehre geht es in seinen Augen ja. Wenn Böhmermann hingegen verurteilt wird, wird es als Merkel-Erdogan-Urteil in die Annalen eingehen. Dann wird Deutschland nicht nur von Erdogan, sondern von allen Partnern als erpressbar wahrgenommen – denn es hat auf hochpolitische Weise einen Prozess wegen Majestätsbeleidigung zugelassen, den es so hochpolitisch gar nicht hätte zulassen müssen.“

„Berliner Zeitung“: „Recep Tayyip Erdogan darf sich bei der deutschen Bundesregierung bedanken. Sie hat ihm mit ihrer Entscheidung, das Urteil über das Schmähgedicht des Comedians Jan Böhmermann der Justiz zu überlassen, zu einer wertvollen Erfahrung verholfen. Vielleicht hat der autokratische Präsidentder Türkeivon Gewaltenteilung schon einmal gehört, Angela Merkel hat ihm nunmehr gezeigt, was der Begriff bedeutet – unmissverständlich und auf zweifache Weise. Sie hat nicht nur zu Recht auf die Zuständigkeit der Rechtsprechung verwiesen, sondern zugleich endlich die Abschaffung des „Majestätsbeleidigungs“-Paragrafen (§103 Strafgesetzbuch) in Aussicht gestellt. Insofern, aber nur insofern, dürfen sich die Deutschen auch bei Erdogan bedanken.“

„Frankfurter Rundschau“: „Hat Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht erreicht, was er wollte? Wenn sein Ziel gewesen ist, den türkischen Präsidenten Erdogan zu reizen, die Bundesregierung in eine unangenehme Lage zu bringen und seinen Namen populär zu machen, dann hat er es erreicht. Sollte seine Absicht hingegen gewesen sein, eine Debatte über die repressive Politik Erdogans, über die Not der Flüchtlinge in der Türkei, über die Bedeutung der Menschenrechte in Gang zu setzen, dann hat er es dramatisch verfehlt. Aus der Mediendemokratie droht eine Gelächterdemokratie zu werden. Der Diskurs hat ausgedient, es zählt die schärfste Pointe.“

„Rheinische Post“: „Der antiquierte Paragraf der „Majestätsbeleidigung“ soll abgeschafft werden. Das ist das Gute an der Affäre Böhmermann. Die Politik sollte keine Richter „ermächtigen“, wenn sich Staatschefs verunglimpft fühlen. So weit, so klar. Mit ihrer eigenmächtigen Entscheidung nährt Angela Merkel den Verdacht, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei ihr wichtiger ist als ein kraftvolles Signal für Meinungsfreiheit. Das ist aber schiere Mutmaßung. Merkel hat keinen Maulkorb für Satire verteilt. Es ist auch kein Kotau vor Erdogan. Sie lässt nur die Justiz entscheiden. Der türkische Autokrat, der jede Kritik an sich verbietet, Gegner einsperren lässt, profitiert nun von einem fairen Verfahren. Das ist schwer erträglich. Aber eben das Wesen eines Rechtsstaats. Sollen kluge Richter mit kühlem Kopf und nüchterner Expertise entscheiden.“

„Tagesspiegel“: „Noch einmal: Eine andere Haltung wäre möglich. Und nicht nur möglich, sondern geboten. Nämlich die, Erdogan nicht nachzugeben, so dass es von ihm als Kotau gedeutet werden kann. Eben nicht auch nur den Hauch des Eindrucks zu hinterlassen, für die Lösung in der Flüchtlingsfrage werde die Meinungsfreiheit verraten und verkauft. Nein, nein, so ist es nicht, wird jetzt der Unionsteil der Regierung aufschreien – Pech nur, dass es in diesem Zusammenhang so wirkt. Genau so.“

„Kölner Stadt-Anzeiger“: „Mit ihrer Entscheidung, die Strafverfolgung im Fall Böhmermann zuzulassen, haben die Bundesregierung und die Kanzlerin zwar dem Verlangen Erdogans stattgegeben, aber nachgegeben haben sie damit keineswegs. Natürlich wird ein Rechtsstaatsverächter vom Schlage Erdogans, für den die Vorstellung einer unabhängigen Justiz so unzumutbar ist wie eine freie Meinungsäußerung, die Entscheidung als Erfolg für sich verbuchen, weil er darin nichts anderes erkennt als eine Anweisung, Böhmermann zu sanktionieren. Aber zu dieser Einschätzung kann nur gelangen, wer unabhängige Richter zu entlassen oder ins Gefängnis zu werfen pflegt.“

„Münchner Merkur“:„Statt selbstbewusst deutsche Rede- und Kunstfreiheit zu verteidigen, das Recht auf schlechten Geschmack inklusive, macht sich Angela Merkel zum Büttel eines zweitklassigen Diktators. Der hat nun Gelegenheit zu zeigen, dass er Journalisten, Kunstschaffende, überhaupt jeden Kritiker nicht nur in der Türkei wie räudigeHundebehandeln kann. Sondern dass sein langer Arm bis nach Deutschland, bis ins Kanzleramt reicht. Demütigender lässt sich die Erpressbarkeit deutscher Außenpolitik der Welt kaum vor Augen führen. Die Realsatire wird zur Staatsaffäre. Ihren Ausgang muss die Kanzlerin mehr fürchten als der Pöbler Jan Böhmermann sein Strafverfahren. Denn es ist ihr Ansehen, um das ab sofort mitverhandelt wird.“

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