Zuletzt verliessen ihn auch die Parteifreunde: Österreichs Kanzler Werner Faymann hat aufgegeben. Kam der Vertrauensverlust durch den Schlingerkurs des SPÖ-Politikers in der Flüchtlingskrise? Ein Überblick über die Pressekommentare.
„Faymann ist nur das erste Opfer“
„Die Welt“: Heute sind tektonische Kräfte am Werk, die alles verändern. Die alte Wahlgeometrie ist dahin, und wenn es so weitergeht die Verfassung der Zweiten Republik. Der ruhmlose Rücktritt des überforderten Politikers – und wer weiß, was noch kommt? – ging jedenfalls nach ungeregeltem Verfahren vor sich. Angst und Zorn schaffen sich in solcher Lage neue andere Legitimität. Karl Kraus nannte einmal das Österreich seiner Zeit „Versuchsstation des Weltuntergangs“. So wichtig ist Wien heute nicht, und vor Übertreibungen wird gewarnt. Doch Faymann ist nur das erste Opfer einer Transformation, die noch viel bewegen wird.
„Faymann war der Kanzler des Spagats“
„Rheinische Post“: Der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann markiert das persönliche Scheitern eines Politikers, der es allen Recht machen wollte und dabei irgendwann alle Glaubwürdigkeit verspielte. Er ist aber auch Indiz für eine politische Krise. Faymann verkörperte als Kanzler das ewige Machtkartell von Sozialdemokraten und Konservativen – zwei einst mächtigen Parteien, deren Ansehen aber schon seit Jahren bröckelt. (…) Faymann war der Kanzler des Spagats, und nichts machte das deutlicher als seine Flüchtlingspolitik. Erst öffnete er die Grenzen und ließ sich dafür vonAngela Merkelund der Parteilinken feiern. Doch angesichts der Folgen für das kleine Land gingen die Schlagbäume dann wieder herunter. In der SPÖ schlagen sie sich darüber seither die Köpfe ein. Für was steht die österreichische Sozialdemokratie? Das weiß kein Mensch so genau. Und das ist das Problem.
„Signal zur Machtübernahme an die Rechtspopulisten von der FPÖ“
„Volksstimme“: Nicht, dass der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Faymann besonders überraschend käme. (…) Allein der Zeitpunkt verleiht dem Geschehenin Wienden Charakter einer Kapitulation. Die Demission kurz vor der entscheidenden Runde der Präsidentschaftswahlen wirkt fast wie ein Signal zur Machtübernahme an die Rechtspopulisten von der FPÖ. Die werden sich das nicht zweimal sagen lassen. Es weht, bedingt durch die Flüchtlingskrise, ein rauer Wind durch die Zweite Republik.
„Neubeginn muss mit neuen Gesichtern einhergehen“
„Junge Welt“: Ein Neubeginn, der von allen Teilen der Partei gefordert wird, muss auch mit neuen Gesichtern einhergehen. Nun steht die SPÖ vor der kaum zu bewältigenden Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit wählerwirksames Personal für die Spitze zu finden und eine Neupositionierung vorzunehmen, die vor allem jene zurückholen soll, die bei den jüngsten Wahlen das Kreuz bei der rechten FPÖ gemacht haben. Allerdings ist die SPÖ in genau dieser Frage völlig ratlos. Während ein Teil der Partei eine Öffnung hin zu den Rechten fordert und auch eine Koalition auf Bundesebene nicht mehr länger ausschließen will, sprechen sich die anderen dafür aus, das sozialdemokratische Profil gegen die FPÖ zu schärfen.
„Glaubwürdigkeit verlor er durch seinen Schwenk in der Flüchtlingspolitik“
„Westfälische Nachrichten“: Faymann war im Ansehen der Öffentlichkeit nie der Politiker, der diese Probleme lösen und damit der SPÖ wieder Auftrieb verleihen konnte. Den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verlor er durch seinen Schwenk in der Flüchtlingspolitik, der weniger seiner Überzeugung folgte als der Angst vor der FPÖ. Noch ist unklar, wer neuer Kanzler wird. Doch sicher ist schon jetzt, dass mit Österreich ein weiterer unsicherer Kantonist dieeuropäischeLandkarte betritt.