Tunesiens Angst vor rückkehrenden „Gefährdern“

In Deutschland und anderen europäischen Ländern halten sich Gefährder auf. Einige kommen aus Tunesien. Das Land stellt sich oft quer, wenn es um die Rücknahme dieser Männer geht. Die Angst hat Gründe.

Sie sind eine tickende Zeitbombe und der Albtraum der Polizei. Man kennt sie und weiß, dass sie jederzeit einen Anschlag begehen könnten. Aber ohne Straftat sind sie nicht einfach präventiv zu verhaften. Es sind die „Gefährder“ und das Sicherheitsrisiko, das von ihnen ausgeht, was Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) ein härteres Vorgehen haben vereinbaren lassen. Denn einen neuen Fall Anis Amri und den Terroranschlag von Berlin soll es nicht geben.

Laut Verfassungsschutz hält sich von insgesamt 548 weiteren Gefährdern die Hälfte auf deutschem Boden auf. Viele davon stammen aus dem Ausland und sind Asylbewerber, wie es auch der aus Tunesien stammende 24-jährige Amri war. Nun wird erwogen, Gefährder möglichst schnell in ihr Heimatland abzuschieben, um damit Terrorakte in Deutschland zu verhindern.

In Tunesien ist man davon aber nicht begeistert, wie Proteste gegen die Rückführung mörderischer Dschihadisten Marke Amri zeigen. „Keine Toleranz, keine Rückkehr“ und „Tunesien ist nicht die Abfall von Deutschland“ stand auf Plakaten bei Demonstrationen im Stadtzentrum von Tunis. „Dieser Amri wurde während seiner Haftzeit in italienischen Gefängnissen radikalisiert“, sagte Rachid, ein 22 Jahre alter Student der „Welt“. „Warum sollen wir solche widerlichen Leute wieder aufnehmen?“ Tunesien habe doch schon genug Probleme.

„Die Menschen haben Angst um ihr Leben und ihre Zukunft“, erklärt Aalya Allani, Professor an der Universität in Tunis und Experte für radikalen Islam. Es ist keine diffuse, unberechtigte Angst. Denn in den letzten Jahren wurde das bei Europäern so beliebte Urlaubsland mehrfach von Terroranschlägen heimgesucht. Zuletzt im März und im Juni 2015, einmal vor dem Nationalmuseum in Tunis, dann in einem Hotel am Strand von Sousse mit zusammen mehr als 50 Toten. Die Zahl der Touristen sank drastisch und verstärkte die ökonomische Krise, die mit dem „arabischen Frühling“ 2011 eingesetzt hatte.

„Rückkehrer könnten neue Attentate begehen und weiter an der Negativspirale drehen“, meint Allani, der die Entwicklung von Islamistengruppen seit Jahren verfolgt. Die Versicherungen der Regierung, alle Rückkehrer zu verhaften und ein neues Hochsicherheitsgefängnis zu bauen, reichen den Menschen nicht aus.

Tunesien gehört zu den Ländern, aus denen überproportional viele Radikale in den sogenannten heiligen Krieg gezogen sind. Insgesamt sollen rund 3000 Islamisten, die Uno spricht von 5000 bis 6500, nach Syrien, in den Irak und nach Libyen gegangen sein, um bei der Miliz Islamischer Staat (IS) oder bei al-Qaida zu kämpfen.

Gerade der Bürgerkrieg im libyschen Nachbarland ist für Tunesien ein immenses Sicherheitsrisiko. Im ölreichen Libyen haben gleich mehrere, unterschiedliche Extremistenfraktionen ihre Basen aufgeschlagen. Die 459 Kilometer lange Grenze ist für die tunesischen Behörden heute kaum zu kontrollieren.

Vor dem „arabischen Frühling“ wäre das noch möglich gewesen. Unter der Diktatur Zine Ben Alis saßen zu Tausenden Islamisten im Gefängnis, waren im Exil oder standen unter Beobachtung. Das wäre heute so nicht mehr möglich. Der Polizeiapparat, der damals den Anti-Terror-Kampf führte, wurde zwischen 2011 und Januar 2014 von der islamistischen Regierungspartei Ennahda zerschlagen.

Proteste gegen die Rücknahme von Dschihadisten gab es in den anderen Ländern Nordafrikas bislang nicht. Das liegt in erster Linie daran, dass diese Staaten feste Strukturen zur Bekämpfung von Terroristen haben und rigoros gegen sie vorgehen. Niemand zweifelt dort an der Kompetenz und am Einsatz der Sicherheitsbehörden. In Ägypten hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit brutalen Mitteln die Muslimbruderschaft zurückgedrängt und gleichzeitig auch gegen weitaus extremistischere Gruppen an Boden gewonnen. Unter Mohammed Mursi, dem gestürzten Vorgänger Sisis, war Ägypten ein Tummelplatz von Dschihadisten aus aller Welt. Heute ist es damit weitgehend vorbei.

In Algerien dauerte der Bürgerkrieg mit den Islamisten über ein Jahrzehnt. Nun kämpft ein autoritärer Staat unter Präsident Abdelaziz Bouteflika auf allen Ebenen gegen al-Qaida und den IS. „Es muss nur jemand auf Facebook ein IS-Video mit ,Gefällt mir‘ anklicken“, erzählt ein Anwalt aus Algier, „dann steht am nächsten Tag schon der Geheimdienst vor der Tür.“

„Wir wissen alles über diese Burschen, glauben Sie mir“

Das Musterland von Nordafrika ist Marokko. Zwischen 2011 und 2016 ereignete sich nur ein einziges Attentat im Königreich von Mohammed VI. Dabei gehören auch Marokkaner, wie Kämpfer aus Tunesien, zu den stärksten Kontingenten von Extremisten in Syrien und dem Irak. „Von 1609 ausgereisten, radikalen Marokkanern sind 864 zum IS gegangen“, sagt Abdelhak Khiame, der Chef der nationalen Anti-Terror-Behörde, in seinem Büro in einem Vorort von Rabat. „Wir wissen alles über diese Burschen, glauben Sie mir.“ „529 sind getötet worden“, fährt Khiame fort, „und 193 nach Marokko zurückkehrt.“ Alle seien vor Gericht gestellt und je nach Beweislage verurteilt worden – mindestens zu zwei Jahren Gefängnis.

Der oberste Terrorjäger wie der Geheimdienst überhaupt verfügen in Marokko über eine ausgeklügeltes Informationsnetz, zudem wird das Internet flächendeckend überwacht. Nicht umsonst gilt Marokko daher als eines der sichersten Länder der Welt. „Uns entgeht nichts“, behauptet Khiame stolz. Seine Behörde war es, die Informationen an Frankreich weiterleitete, die zur Verhaftung der Paris-Attentäter führte.

Ähnliche Hinweise erhielt Belgien, und auch nach Deutschland sollen zwei Warnungen über Anis Amri gegangen sein. „Zu uns können sie gern Terroristen zurückschicken“, sagt Taxifahrer Abdellativ aus Tanger schmunzelnd. „Bei uns weiß man, wie man mit denen umgeht.“

Tunesien kann von einem effizienten Anti-Terror-Kampf dagegen nur träumen. „Die alten Strukturen der Sicherheitsbehörden wurden durch die politischen Umwälzungen nach dem ‚arabischen Frühling‘ 2011 zerstört“, bestätigt Professor Allani. Die Mehrheit der Tunesier habe kein Vertrauen in den Staat, das Terrorproblem bewältigen zu können. „Dies ist sicherlich einer der Hauptgründe“, so Allani weiter, „warum die Menschen gegen die Rücknahme von Dschihadistenaus Europa protestieren.“

Bei den Demonstrationen musste die islamistische Partei Ennahda viel Kritik einstecken. „Sie wird für den Aufstieg des radikalen politischen Islams in Tunesien verantwortlich gemacht“, betont Allani. 2012 waren Videos aufgetaucht, die Ennahdas Parteiführer Rachid Ghannouchi im Kreise radikaler Islamisten zeigen. Er bezeichnet sie darin als „seine Brüder und Freunde“. Ennahda ließ auch jedem noch so radikalen Prediger freie Hand und organisierte sogar lokale Religionspolizeieinheiten. Sie „erinnerten“ Liebespaare an moderates Verhalten und schickten Frauen nach Hause, die abends „zu spät“ allein unterwegs waren.

Als Ennahda von 2011 bis Januar 2014 in der Regierung saß und den Innenminister stellte, wurden die Sicherheitsbehörden nach ihren Vorstellungen umgekrempelt. „Und das war alles andere als zum Vorteil der Institutionen“, betont Islamexperte Allani ironisch. Sogar Parteimitglieder, die offen Sympathien mit radikalen Gruppierungen hatten, seien auf einflussreiche Posten gehievt worden.

Erst am letzten Wochenende verhaftete die tunesische Polizei einen Behördenmitarbeiter, der Informationen über bevorstehende Razzien an islamistische Terrorgruppen weitergegeben haben soll. „Die neue Regierung ist dabei, die Sicherheitsdienste zu reformieren“, berichtet Allani und räumt gleichzeitig ein, dass „das Zeit braucht“. Trotzdem werde sich die Lage bald bessern, fügt der Akademiker optimistisch hinzu.

Bis der Staat allerdings sein verlorenes Vertrauen bei der Bevölkerung zurückgewinnt, können wohl noch Jahre vergehen. Terror ist nur eines von vielen Problemen Tunesiens. Das Land wird geplagt von hoher Arbeitslosigkeit, stagnierender Wirtschaft, einer sich zunehmend ausbreitenden Armut und einer Jugend ohne Perspektive.

Schreibe einen Kommentar

*