So voll war’s bei „Woody’s“ lange nicht mehr. Aus Philadelphias bekanntester Schwulenbar quillt die Menge bis auf den Gehweg. Der Grund: Politik. Die US-Demokraten haben zur „Happy Hour“ geladen, um die LGBT-Delegierten ihres Wahlparteitags willkommen zu heißen. Fast 600 Schwule, Lesben und Transgender sind diesmal dabei – mehr als je zuvor.
Allein auf diesen historischen Rekord wollen sie am Sonntagnachmittag anstoßen – mal abgesehen davon, dass sie mit Hillary Clinton die erste Frau in der US-Geschichte fürs Präsidentenamt nominieren werden. Das Freibier fließt, und auf den Video-Screens an den Backsteinwänden zappelt Beyoncé.
Doch plötzlich platzt die Partylaune. Ein Handy nach dem anderen summt, mit SMS, Anrufen, Eilmeldungen: Parteichefin Debbie Wasserman Schultz tritt zurück – die Frau, die dieses Treffen organisiert hat und leiten sollte.
Was? Wie? Im Ernst? Augenrollen, nervöses Lachen, noch ein Bier, bitte.
Und so erleiden nun auch die Demokraten in Philadelphia das gleiche Schicksal wie vorige Woche die Republikaner in Cleveland: Ein saftiger Skandal vermasselt ihnen den Auftakt ihrer auf Harmonie und Happiness gedrillten PR-Show, die diese Woche einen optimistischen Gegenentwurf vorlegen soll zum düsteren Weltbild des Clinton-Gegners Donald Trump.
SPIEGEL ONLINE erklärt die Affäre, die diesen Parteitag überschattet – und was Sie sonst noch wissen sollten über das viertägige Demokraten-Treffen.
Warum wirft Parteichefin Wasserman Schultz hin?
Hintergrund sind 19.252 gehackte E-Mails vom internen Parteiserver, die die Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlichte. Einige legen nahe, dass die Parteispitze unter Wasserman Schultz im Vorwahlkampf Clinton bevorzugt und versucht habe, ihren linken Rivalen Bernie Sanders zu sabotieren – unter anderem mit Anspielungen auf seinen jüdischen Glauben.
Stimmt das, würde es allen Vorschriften und öffentlichen Bekundungen widersprechen – und das Image Clintons, das wegen ihrer eigenen E-Mail-Affäre ohnehin angekratzt ist, nur weiter lädieren. Auch würde es einen alten Vorwurf Sanders‘ und seiner Fans bestätigen, von denen viele Clintons Vorwahlsieg bis heute nicht akzeptieren. Schon marschieren am Sonntag mehr als tausend Sanders-Anhänger durch Philadelphia: „We won’t vote for Hillary!“ – „Wir stimmen nicht für Hillary!“ Die Demonstration ist größer als jede beim Republikaner-Parteitag.
Unterdessen nimmt der Skandal internationale Dimensionen an: Clintons Wahlkampfchef Robby Mook behauptet, die E-Mails seien „von den Russen“ geleakt worden – „um Donald Trump zu helfen“. Auch mehrere namhafte US-Medien berichten unter Berufung auf Sicherheitskreise, „zwei russische Geheimdienste“ steckten dahinter. Das Weiße Haus habe dazu schon letzte Woche einen Krisenstab einberufen, schreibt die „Washington Post“.
Was will Clinton bei diesem Parteitag erreichen?
Die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur, klar. Aber auch jenseits der Kür will sie den Parteitag nutzen: Clinton hat ein Vertrauensproblem, sie muss sich den Amerikanern als verantwortungsbewusste Politikern zeigen. Eine weitere Kernfrage ist, ob es ihr gelingt, ein Stück ihrer Persönlichkeit zu zeigen, die sich hinter der kalt-professionellen Maske verbirgt. Ehemann Bill und Tochter Chelsea, die beide in Philadelphia auftreten, sollen dabei helfen.
Wer spricht sonst noch?
Anders als bei den Republikanern soll der Parteitag eigentlich eine fröhliche Feierstunde werden – mit superprominenter Besetzung. In der Wells Fargo Arena wird die erste Garde der Demokraten auftreten. Allen voran Obama und Vize Joe Biden sowie – als erster Hauptredner an diesem Montagabend – Bernie Sanders. Alle hoffen, dass dieser mit einer wohlwollenden Rede die Partei trotz des jüngsten Skandals geeint in den Wahlkampf schickt. Schön für Clinton: New Yorks Ex-BürgermeisterMichael Bloomberg, ein Liebling der Moderaten, will am Mittwoch unabhängige Wähler bezirzen. Hinzu kommen Stars aus Hollywood und der Musikszene wie Lady Gaga und Lenny Kravitz.
Kann Clinton mit ihrem Vize Tim Kaine punkten?
Pünktlich zum Parteitag stellte Clinton ihren Vizekandidaten vor. Virginias Senator Tim Kaine trat nun in Florida in dieser Rolle erstmals an Clintons Seite auf – und erhielt dafür viel Beifall. Kaine spricht fließend Spanisch, er ist skandalfrei und hat in seinem Staat gezeigt, dass er auch unter Konservativen punkten kann. Das Risiko: Er ist ein Vollblutpolitiker, was in diesem Populistenjahr nicht gerade en vogue ist. Weiteres Problem: Bei den Progressiven ist Kaine als einst glühender Anhänger des Freihandels unbeliebt. Eine der spannenden Fragen des Parteitags dürfte sein, wie er versuchen wird, die Kritiker zu umgarnen.