Vize-Kandidaten im US-Wahlkampf Trumps bessere Hälfte

Am Anfang ist das Duell fast ein bisschen irritierend freundlich. „Es ist eine Ehre, hier mit Ihnen diskutieren zu dürfen“, sagt Mike Pence zu seinem Konkurrenten Tim Kaine. Der nickt, lächelt.

Moment: Ehre? Für den Konkurrenten? In diesem Präsidentschaftswahlkampf?

Nach monatelangem Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton hat man sich in diesem Jahr eigentlich an vieles gewöhnt. Kandidaten beschimpfen und beleidigen sich als Betrüger und Lügner, die Diskussionen gehen um Seitensprünge und Penislängen statt um Sachthemen.

Umso erfrischender und erholsamer wirkte die Fernsehdebatte der Vizepräsidentschaftskandidaten Kaine und Pence, die am Dienstagabend in Longwood, Virginia, ausgetragen wurde. Der eine ist demokratischer Senator aus Virginia, der andere Gouverneur der Republikaner in Indiana. Nie standen zwei Vizepräsidentschaftskandidaten so im Schatten der Hauptakteure, wie in diesem Jahr. Umso mehr gab es bei beiden Kandidaten zu entdecken.

Wer ist der Sieger?

Zeitweise ist es eine knappe Angelegenheit, aber am Ende der 90 Minuten geht das Duell an Pence. Der Gouverneur aus Indiana tritt bei der Debatte genauso auf wie in den vergangenen Wochen. Pence ist der seriöse Teil im ungleichen Duo, Trumps bessere Hälfte. Er soll den Republikanern, die Donald Trump nicht mögen, die Angst vor dem Kandidaten nehmen. Das gelingt.

Er spricht ruhig und unterbricht nicht, schaut in die Kamera und erwidert auf trockene Art spontan und amüsant. So zum Beispiel, als er seinen Konkurrenten nach einem etwas lang geratenen Vortrag fragt: „Hast Du die Sätze lange geübt?“ Die wenigen Lacher bei der Debatte folgen allesamt auf Kommentare von Pence.

Kaine dagegen wirkt gerade am Anfang hibbelig, macht sich viele Notizen, unterbricht oft – zu oft. Nachweislich entscheiden Zuschauer bei Fernsehdebatten auch nach Aussehen. Pence wirkt zwar zeitweise etwas porzellanartig, aber insgesamt optisch ansprechender, seriöser und präsidialer als der etwas lehrerhaft auftretende Kaine. Der Senator aus Virginia punktet vor allem in Sachfragen. Für den Gesamtsieg reicht das nicht.

Was war der stärkste Moment von Kaine?

Kaine hat sich lange vorbereitet. Detailverliebt beantwortet er jede Frage, in manchen Themen ist er damit Pence überlegen. Am auffälligsten wird das bei der Diskussion um Syrien, Einwanderung und vor allem beim Thema Abtreibung. Während Pence sich strikt gegen Abtreibung ausspricht, mahnt Kaine, Frauen müssten selbst über ihre Schwangerschaft bestimmen dürfen.

Da Kaine ähnlich wie Pence seine Nähe zur Kirche betont, sammelt er geschickt in zwei Wählergruppen Sympathien. Einerseits stellt er sich klar auf die Seite derer, die Selbstbestimmtheit für Frauen in dieser zentralen Frage fordern. Das sind natürlich vor allem Frauen selbst – auf die Hillary Clinton in ihrer Kampagne besonders setzt. Gleichzeitig verdirbt er es sich nicht mit den unentschiedenen, christlich orientierten Wählern, die in manchem Staat die entscheidenden Prozente ausmachen können.

Was war der stärkste Moment von Pence?

Das klingt zunächst vielleicht kurios, aber es war ebenfalls das Thema Abtreibung. Vielen Europäern mag seine Haltung rückständig erscheinen – in manchem konservativen Ort in Kansas, Idaho oder Utah sieht man das allerdings ganz anders. Dort sind die Wähler der Republikaner erzkonservativ. Sie wollen genau die Positionen zum Thema Abtreibung von ihren Volksvertretern hören. Mit diesen Wählern im Süden und Westen der Vereinigten Staaten fremdelt der New Yorker Donald Trump bisher – und sie mit ihm. Pence schließt diese Lücke und umgarnt die Stammwähler. Denn auch wenn beiden Parteien vor allem um die bisher Unentschiedenen kämpfen, so gilt doch das Motto: Nur mit Stammwählern gewinnt man das Weiße Haus nicht – ohne sie verliert man es aber auf jeden Fall.

Was haben Clinton und Trump gemacht?

Trump hatte schon kurz vor der Debatte angekündigt, dass er das Duell „live“ auf Twitter kommentieren werde. Das tut er in seiner ihm eigenen Art. Als sein Vizepräsidentschaftskandidat ihn gerade in Schutz nimmt und behauptet, Clinton würde wesentlich mehr beleidigen als Trump, fällt dieser in einem Tweet über Kaine her. „Kaine sieht aus wie der böse Gauner aus den Batman-Filmen“, schreibt er. Es wäre ein peinlicher Moment für Pence gewesen – im Studio bekommt er es jedoch nicht mit. Von Clintons Twitteraccount gibt es dagegen eine Menge Kurznachrichten, die das Duo Trump/Pence der Lüge überführen sollten. Als Pence etwa sagt, Trump wolle muslimische Einwanderung nicht vollständig unterbinden, schickt Clinton einen Screenshot von Trumps Website – mit der entsprechenden Aussage.

Und was folgt daraus?

Am interessantesten ist, was jetzt auf Seiten der Trump-Kampagne passiert. Pence könnte mit seinem überzeugenden Auftritt einige Sympathien wiedergutmachen, die Trump im ersten Duell verspielt hatte. Ähnlich gelang es Vizepräsident Joe Biden 2012 gegen den Republikaner Paul Ryan, nachdem Präsident Obama zuvor eine schwache Figur abgegeben hatte.

Mancher Beobachter des Duells war so angetan von Pence, dass schon kurz nach dem Ende des Duells gemutmaßt wurde, Pence laufe sich schon für eine Präsidentschaftskandidatur 2020 warm.

Bereits am Sonntag findet in St. Louis das zweite Fernsehduell zwischen Trump und Clinton statt. Das Format ist diesmal ein sogenanntes Town Hall, es gibt Fragen aus dem Publikum, die Kandidaten sitzen auf einem Hocker im offenen Raum. Pence und Kaine übernehmen dann wieder das, was sie die längste Zeit in diesem Wahlkampf hatten: die wichtigste Nebenrolle in den Kampagnen.

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