Washington hat Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Ökonomisch sind diese bedeutungslos, dennoch stürzt die Lira ab. Und in der Hinterhand haben die USA Maßnahmen, die weit größere Folgen hätten.
Die nächste Marke ist geknackt. Erstmals kostete ein Dollar am Mittwochabend mehr als fünf türkische Lira – so wenig war die Währung noch nie wert, seit sie 2005 das alte, von Inflation zerfressene Geld abgelöst hatte.
Und am Donnerstag beschleunigte sich der Absturz noch, schnell war die Marke von 5,05 Lira erreicht, kurz danach sogar 5,08 Lira. Unmittelbarer Auslöser war der Beschluss der US-Regierung, Sanktionen gegen zwei türkische Minister zu erlassen.
Diese Maßnahmen sind zwar ökonomisch bedeutungslos, sie setzen jedoch ein verheerendes Signal. Denn offenbar sind die USA bereit die Konfrontation mit dem Nato-Partner eskalieren zu lassen. Zudem bereitet Washington bereits weitere Sanktionen vor.
USA frieren Vermögen von zwei Ministern ein
Die jetzt beschlossenen US-Sanktionen sehen vor, das Vermögen von Justizminister Abdülhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu in den USA einzufrieren sowie US-Bürgern Geschäfte mit diesen zu verbieten. Die beiden hätten „führende Rollen bei der Inhaftierung und Festnahme von Pastor Brunson gespielt“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses.
Andrew Brunson lebt seit über 20 Jahren in der Türkei und war 2016, nach dem gescheiterten Putsch, festgenommen worden. Ihm wird die Unterstützung der Gülen-Bewegung, eine Nähe zur PKK sowie Spionage für die USA vorgeworfen.
Präsident Erdogan hatte jedoch schon im September angedeutet, dass Brunson vor allem in Haft sitze, um gegen den Prediger Fetullah Gülen, der in den USA lebt, ausgetauscht zu werden. Dies bestätigte der Innenminister nun auch indirekt. Unmittelbar nach Verkündung der Sanktionen twitterte er auf Gülen gemünzt: „Den werden wir nicht dort lassen. Wir werden ihn holen!“
In den USA wird Brunson daher schlicht als Geisel gesehen. US-Präsident Trump hatte sich nun vor rund einer Woche entschlossen gezeigt, Brunson zu befreien und harte Sanktionen angekündigt. Das sind die jetzt beschlossenen Maßnahmen noch nicht. „Die tatsächlichen Folgen der erlassenen US-Sanktionen gegen die Minister halten sich für die türkische Wirtschaft bislang sicherlich in Grenzen“, sagt Sören Hettler, Devisenexperte bei der DZ Bank.
Investoren fürchten weitere US-Sanktionen
Dennoch wirken sie bereits, lassen die Lira, die seit Jahresbeginn bereits ein Viertel ihres Werts verloren hat, weiter abstürzen. Die Angst der Investoren: Schon bald könnten weitere Sanktionen folgen. „Schließlich scheint keine der beiden Seiten bereit, einen Kompromiss einzugehen“, so Hettler.
Tatsächlich hat der Auswärtige Ausschuss des US-Senats bereits ein Gesetz beschlossen, dass es den US-Vertretern bei der Weltbank und bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung untersagen würde, weiteren Krediten an die Türkei zuzustimmen. Das wäre ein schwerer Schlag für Ankara, denn das Land gehört zu den größten Kreditnehmern bei diesen Institutionen.
Von der Internationalen Finanz-Korporation der Weltbank (IFC) erhielt die Türkei im vergangenen Jahr 927 Millionen Dollar an Darlehen, bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung war sie sogar größter Kreditnehmer überhaupt mit 1,8 Milliarden Dollar im Jahr 2017.
Die Blockade weiterer Kredite an die Türkei müsste zwar erst noch vom Senat beschlossen und vom Präsidenten abgesegnet werden. Aber alleine die Aussicht sorgt schon jetzt dafür, dass die Währung immer weiter abstürzt. Dies geschieht, weil die Lira ohnehin stark angeschlagen ist, bereits seit zwei Jahren verliert sie rasant an Wert, seit Mitte 2016 sind es inzwischen über 40 Prozent.
Kreditfinanzierter Aufschwung treibt Inflation in die Höhe
Hintergrund ist, dass Regierung und Zentralbank nach dem gescheiterten Putsch massiv Geld in die Wirtschaft pumpten, um eine Rezession zu verhindern. Dies gelang, doch danach wurden die Maßnahmen nicht wieder zurückgefahren. Als Folge boomte zwar die Wirtschaft und erreichte Wachstumsraten von über sieben Prozent. Gleichzeitig entstand jedoch eine Kreditblase und die Inflation galoppierte davon.
Inzwischen geben sogar offizielle Stellen diese Probleme zu. Die Zentralbank hob Anfang der Woche ihren Ausblick für die Jahresinflationsrate von 8,4 auf 13,4 Prozent drastisch an.
Im Juni hatte die Teuerung allerdings bereits 15,4 Prozent erreicht, und für Juli deuten erste Indikationen sogar auf einen Wert über 16 Prozent hin.
Gleichzeitig liegt der Leitzins aber gerade mal bei 17,75 Prozent, Präsident Erdogan verhindert mit aller Macht weitere Erhöhungen. Das bedeutet jedoch, dass ausländische Investoren nach Abzug der Inflation nur eine minimale Rendite erhalten. Die Folge: Sie ziehen ihr Kapital ab.
Türkei braucht ständig neue Investitionen aus dem Ausland
Kein anderes Land der Welt ist allerdings so abhängig von ausländischem Kapital wie die Türkei. Diese Abhängigkeit ist sogar stetig gewachsen, seit Erdogan regiert. Denn das Land importiert konstant mehr als es exportiert, wodurch das Leistungsbilanzdefizit immer weiter stieg, 2017 betrug es 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dieses Leistungsbilanzdefizit kann nur ausgeglichen werden, wenn permanent Kapital ins Land strömt, derzeit rund 200 Millionen Dollar pro Tag.
Dies ist daher die verwundbarste Stelle der Türkei, und die US-Regierung nutzt dies offenbar ganz bewusst. Denn die Sanktionen des Senats, so sie denn umgesetzt würden, zielen genau auf diesen Kapitalzufluss. Würde er verebben, würde es Sören Hettlers Meinung zufolge, nicht bei einer „einfachen“, weiteren Lira- Abwertung bleiben.
„Vielmehr würde das Risiko einer Zahlungsbilanzkrise zunehmen“, sagt er. Es käme dann zu Pleiten und Zahlungsausfällen, möglicherweise auch auf Seiten des Staats, Banken könnten ins Trudeln geraten, die Menschen ihr Erspartes verlieren.
Wollen die USA die Türkei zerstören?
Doch können die USA wirklich wollen, dass ein Nato-Verbündeter von ihnen in eine solche Krise getrieben wird? Aslı Aydıntaşbaş vom European Council on Foreign Relations glaubt, dass genau diese Gefahr die USA zögern lasse. „Der Preis der Handlungen wäre so groß, dass die Türkei einen psychologischen Vorteil hat“, sagt sie.
Erdogan könne daher in der Konfrontation weit selbstbewusster auftreten, als es seiner realen Position entspricht. Das sei zwischen den beiden Ländern in der Vergangenheit immer wieder so gewesen – die USA wollen den Partner am Ende schließlich nicht zerstören. Die große Frage jedoch ist: Gilt das auch in Zeiten noch, da der US-Präsident Trump heißt?