Der türkische Präsident Präsident Erdogan hat jetzt einen persönlichen Strafantrag gegen Jan Böhmermann gestellt. Damit werden Ermittlungen auch dann möglich, wenn Berlin dafür kein grünes Licht gibt. Ausgerechnet Böhmermanns Satireopfer Varoufakis schlägt sich jetzt auf die Seite des Kabarettisten.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Strafantrag gegen den Kabarettisten Jan Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen, teilte die Staatsanwaltschaft Mainz am Montagabend mit. Damit werden Ermittlungen auch für den Fall möglich, wenn Berlin dem nicht zustimmt.
Gegenstand des durch eine Anwaltskanzlei gestellten Antrags sei das Schmähgedicht in der Sendung „ZDF Neo Royal“ vom 31. März. Der 35-Jährige hatte in seinem Gedicht bewusst beleidigende Formulierungen benutzt, um – wie er selbst erläuterte – die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen.
Der Strafantrag werde in dem bereits anhängigen Verfahren wegen Angriffs gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§103 Strafgesetzbuch) geprüft werden, hieß es weiter. Die Türkei verlangt, dass der Satiriker Jan Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Eine entsprechende diplomatische Note sei an die deutschen Behörden geschickt worden, sagte ein Sprecher von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoganam Montag in Ankara. Erdogans Strafantrag nach Paragraf 194 Strafgesetzbuch wegen Beleidigung bezieht sich auf Paragraf185 Strafgesetzbuch. Die Paragrafen 103 und 185 sehen ein unterschiedlich langes Strafmaß vor (siehe Kasten).
Bundesregierung kündigt tagelange Prüfung an
Die Bundesregierung prüft nun den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung. Dies werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Zuvor hatte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller mitgeteilt, dass ihre Behörde bislang nicht über das Strafverlangen der Türkei informiert worden sei. Für eine Strafverfolgung in solchen Fällen brauche es neben dem Strafverlangen der Türkei auch eine entsprechende Ermächtigung vonseiten der Bundesregierung. Allerdings ist diese Ermächtigung Juristen zufolge nicht für eine Strafverfolgung im Fall von Erdogans Strafanzeige wegen Beleidigung nach §185 Strafgesetzbuch erforderlich.
Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung Erdogans, sondern von allen 78 Millionen Türken, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus am Montag. Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen zu haben. Der Text habe „alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen“. Die Regierung in Ankara könne das nicht akzeptieren.
Seibert betonte, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Dies gelte unabhängig davon, ob sie etwas für geschmacklos halte und davon, dass die EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zusammenarbeite.
ZDF stellt sich hinter Böhmermann
Das ZDF will an seinem Moderator trotz des Ärgers festhalten. Dessen „Neo Magazin Royale“ stehe nicht zur Disposition, teilte der Sender mit. „Die Sendung wird wie bisher fortgeführt.“ Böhmermann selbst, der am Freitagabend für eine frühere Satire-Aktion (“Varoufake“) in Abwesenheit den begehrten Grimme-Preis erhielt, hält sich seit Tagen aus der öffentlichen Diskussion heraus.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält eine Anklage nicht für notwendig. Böhmermann und das ZDF sollten sich aber entschuldigen, sagte er. „Ich finde das nicht satirisch, sondern deplatziert und beleidigend“, erklärte Sofuoglu.
In der Öffentlichkeit hat Böhmermann zuletzt prominente Zustimmung erfahren. Selbst sein früheres Spottopfer, der frühere Finanzminister Griechenlands Giannis Varoufakis, hat sich auf die Seite Böhmermanns geschlagen. In einem Tweet warnt er die Verfolger Böhmermanns die Hände von ihm zu lassen.
Auch Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner hat zum Fall Böhmermann Stellung bezogen. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht“, schriebDöpfner in einem offenen Brief an Böhmermann in der „Welt am Sonntag“. „Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja – wenn ich es richtig verstanden habe – der Sinn der Sache“, so Döpfner. „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen.“
Aus Solidarität mit Böhmermann verspottete der Kabarettist Dieter Hallervorden (80) den türkischen Staatspräsidenten in einem Lied: In „Erdogan, zeig’ mich an“, das Hallervorden am späten Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte, heißt es unter anderem: „Ich sing’ einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt.“
Reaktionen aus der Politik
Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der Tageszeitung „Die Welt“: „Ich erwarte, dass die Bundesregierung einen rechtskonformen Weg findet, die Bitte der türkischen Regierung um eine Strafverfolgung abzulehnen.“ Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, ergänzte: „Die Bundesregierung sollte den Fall unkommentiert der deutschen Justiz überlassen und damit Erdogan mit einem weiteren Prinzip demokratischer Staaten vertraut machen – der Gewaltenteilung.“
CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte auf n-tv: „Wir haben in Deutschland eine sehr gute Tradition, was Kritik, auch satirische Kritik an der Politik auf der Basis der freien Meinungsäußerung betrifft.“ Allerdings müsse man sich in einem Rechtsstaat an alle Regeln halten. „Und eine Regel ist, dass die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter strafbar ist.“
Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion Die Linke, verlangte, Bundeskanzlerin Merkel müsse sich schützend vor die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland stellen und Ankara eine Absage erteilen.