Mindestens vier Attentäter, zwei sind eindeutig als polizeibekannte Brüder aus Belgien identifiziert, ein Dritter ist vielleicht identifiziert. Der vierte Mann ist flüchtig. Wer ist er? Und gibt es Verbindungen zu den Paris-Anschlägen? Der Ermittlungsstand in Brüssel am Tag danach.
Am Tag der Anschläge in Brüssel tappten die belgischen Ermittler noch im Dunkeln. Am Tag danach konnten sie erste Ergebnisse präsentieren, doch weiter sind viele Fragen offen.
Klar ist: Zwei der Selbstmordattentäter sind eindeutig identifiziert – es handelt sich um die Brüder Khalid und Ibrahim El Bakraoui. Der 27-jährige Khalid El Bakraoui verübte laut Staatsanwaltschaft den Anschlag in der Metro. Wie er dorthin kam und ob er dort Mittäter hatte, weiß man nicht. Am Flughafen kann er eigentlich nicht gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft gibt aus ermittlungstaktischen Gründen keine weitere Auskunft.
Der 29-jährige Ibrahim war demnach einer der beiden Selbstmordattentäter am Flughafen. Von ihm fanden Ermittler eine Art „Testament“, auf einem Computer in einem Mülleimer im Brüsseler Viertel Schaerbeek. „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, überall gejagt, nicht mehr sicher“, heißt es darin laut Staatsanwaltschaft. Er habe angegeben, er wolle „nicht in einer Zelle“ landen.
Belgier, polizeibekannt
Die Brüder El Bakraoui sind Belgier und in Brüssel geboren. Sie waren der Polizei wegen einer Reihe von Delikten bekannt, standen aber nicht unter Terrorverdacht. Khalid El Bakraoui wurde 2011 zu fünf Jahren Haft wegen Autodiebstahls unter Gewaltanwendung verurteilt. Ibrahim El Bakraoui erhielt 2010 eine neunjährige Haftstrafe, weil er an einem Einbruch beteiligt war, bei dem Polizisten mit einer Kalaschnikow beschossen wurden. Wann die Brüder genau wieder frei kamen und ob sie womöglich im Gefängnis radikalisiert wurden, ist unklar.
Ein Taxi hatte drei Männer am Dienstagmorgen zum Airport gebracht, der Taxifahrer erkannte sie später auf dem Fahndungsfoto wieder. Zwei der Männer sprengten sich in die Luft. Ein dritter Komplize tat dies nicht – warum, weiß man nicht. Er überlebt, konnte fliehen. Wer ist der zweite Selbstmordattentäter am Flughafen und wer ist der flüchtige dritte Mann?
Von beiden Flughafenattentätern und dem dritten Mann gibt es ein gemeinsames Fahndungsfoto. Der zweite Flughafenattentäter könnte der im Zusammenhang mit den Pariser Anschlägen gesuchte Najim Laachraoui sein. Das berichten mehrere Medien mit Verweis auf Polizeikreise, dies ist jedoch nicht offiziell bestätigt. Der 24-Jährige stammt aus dem Brüsseler Stadtteil Schaerbeek, wo auch ein mutmaßlicher Unterschlupf der Attentäter ausgehoben und mehrere Kilo Sprengstoff gefunden wurde.
Laachraoui wird verdächtigt, an den Pariser Anschlägen im November mit 130 Toten beteiligt gewesen zu sein – zusammen mit Salah Abdeslam, der am Freitag in Brüssel festgenommen wurde. Laachraouis Fingerabdrücke wurden in Wohnungen gefunden, die von den Paris-Attentätern genutzt wurden. Seine DNA-Spuren fanden sich außerdem auf Sprengstoff, der an mehreren Stellen in Paris verwendet wurde.Berichte über seine Festnahme im Raum Brüssel wurden später dementiert.
Wer der dritte Mann auf dem Fahndungsfoto vom Flughafen ist, ist unklar. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft fandet man nach einer ganzen „Reihe von Personen“, Zahlen und Namen nannte Staatsanwalt Van Leeuw keine.
Verbindungen nach Paris?
Die Attentäter von Brüssel gehörten möglicherweise zur gleichen Terrorzelle wie der mutmaßliche Paris-Attentäter Abdeslam. Dafür gibt es viele Indizien: der Ablauf, der Sprengstoff, die Tatorte. Und auch das, was man über die Täter weiß. Einer der beiden Brüder – Khalid – soll unter falschem Namen eine Wohnung in Brüssel angemietet haben, die zur Vorbereitung der Anschläge mit 130 Toten im November in Paris genutzt wurde.
Für die These spricht auch, dass an der Adresse im Stadtteil Schaerbeek, wo der Taxifahrer das Flughafen-Trio abgeholt hatte, unter anderem 15 Kilogramm hochexplosives Azetonperoxid (TATP) sowie weiteres Material für den Bombenbau gefunden wurden. Bei den 15 Kilogramm TATP handele es sich um dieselbe Art, die auch in Paris verwendet worden sei, hieß es von der Staatsanwaltschaft.
Laachraoui soll im Februar 2013 nach Syrien gereist sein. Anfang September 2015 geriet er – mit falscher Identität unter dem Namen Soufiane Kayal – zusammen mit Abdeslam und Mohamed Belkaid in eine Kontrolle an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich. Abdeslam und Belkaid gelten als mutmaßliche Beteiligte der Pariser Anschläge.
Festnahme im Juni 2015 in der Türkei?
Einer der Terrorverdächtigen von Brüssel soll im Juni 2015 in der Türkei an der Grenze zu Syrien gefasst und nach Belgien abgeschoben worden sein. Das behauptet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Man habe die belgischen Behörden gewarnt, dass es sich um einen „ausländischen Kämpfer“ handele. Doch der Mann sei freigelassen worden, da Belgien „keine Verbindungen zum Terrorismus nachweisen“ konnte. Laut Nachrichtenagentur Reuters soll es sich um Ibrahim El Bakraoui gehandelt haben. Der belgische Justizminister wies den Vorwurf der Fahrlässigkeit zurück. Als El Bakraoui von der Türkei ausgewiesen wurde, sei er lediglich als normaler Straftäter auf Bewährung bekannt gewesen, sagte Koen Geens dem Sender VRT. Seines Wissens sei El Bakraoui auch nicht nach Belgien, sondern in die Niederlande abgeschoben worden, ergänzte Geens.
Opfer aus 40 Nationen
Bei den Anschlägen in Brüssel waren am Dienstag nach den jüngsten Angaben der Staatsanwaltschaft 31 Menschen getötet und 300 verletzt worden. Diese Bilanz sei aber weiter vorläufig und könne sich „unglücklicherweise in den kommenden Stunden verändern“, sagte Van Leeuw offenbar mit Blick auf viele Schwerstverletzte.
Nach Angaben des Auswärtigen Amts ist unter den Schwerverletzten auch mindestens ein deutscher Staatsbürger. Mehrere weitere seien verletzt worden. Eine genaue Zahl nannte das Amt nicht. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass Deutsche unter den Todesopfern sind. Nach belgischen Angaben kommen die Opfer aus etwa 40 Nationen
In Belgien gilt weiter Terrorstufe 4 – die höchstmögliche. Das öffentliche Leben funktioniert mittlerweile halbwegs wieder, noch bis Freitag herrscht im Land Staatstrauer. Die Metro-Station Maelbeek wird vermutlich noch mehrere Wochen geschlossen bleiben. Der Flughafen Brüssel bleibt auf jeden Fall noch bis einschließlich Freitag geschlossen.