Freisprüche und Geldstrafen im Prozess gegen Identitäre in Graz

Mitglieder der sogenannten Identitären Bewegung wurden im österreichischen Graz vom Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen. Auch den Tatbestand der Verhetzung sah der Richter nicht erfüllt.

Als der Richter im Grazer Schwurgerichtssaal am Donnerstagvormittag sein Urteil gegen 17 Identitäre verliest, hebt auf der Zuschauertribüne ein Raunen an. Dass die Angeklagten vom Vorwurf der Verhetzung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen werden, kommt für Prozessbeobachter, die den jungen Rechten kritisch gegenüberstehen, wenig überraschend – „zu schwammig“ hatten sie die Anklage des Staatsanwalts schon zuvor genannt. Das Urteil, twittern einige, komme einem Freibrief für die von den Verfassungsschutzbehörden in Österreich und Deutschland beobachteten Identitären gleich.

„Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben“, zitieren österreichische Medien den Richter in seiner Urteilsbegründung.

Zehn führende Mitglieder und sieben Sympathisanten der „Identitären Bewegung Österreich“ (IBÖ) waren seit Anfang des Monats vor dem Grazer Straflandesgericht wegen mehrerer Vergehen angeklagt. Während des Prozesses bezeichneten sie sich immer wieder als lediglich konservativ und patriotisch, mit Rechtsextremen wollten sie nicht in Verbindung gebracht werden.

In der Hauptsache – Bildung einer kriminellen Vereinigung und Verhetzung – wurden die Siebzehn freigesprochen, in anderen Punkten nicht. Einer von ihnen wurde wegen Körperverletzung und Nötigung zu einer Geldstrafe von 720 Euro verurteilt. Ein weiterer muss wegen Sachbeschädigung eine Strafe in Höhe von 240 Euro zahlen.

Die Frage, die während der zehn Verhandlungstage immer wieder im Grazer Schwurgerichtssaal stand, lautet: Ist es noch eine erlaubte Meinungsäußerung oder schon Hetze, wenn man wie die Beschuldigten „ERDOGAN – HOL DEINE TÜRKEN HAM“ oder „Integration ist eine Lüge“ skandiert?

Es ging um Feinheiten wie diese: Soll Erdogan „seine“ Türken, also seine AKP-Anhänger, abholen oder alle Türken als solche – nur im letzteren Fall wäre es das, was in Deutschland Volksverhetzung heißt. Nach Ermessen des Richters reichten am Ende die Beweise nicht aus, um zu einem Schuldspruch zu gelangen.

Der Richter sah es als nicht erwiesen an, dass die Mitglieder des „Vereins zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“ generell gegen Muslime oder türkische Staatsangehörige gehetzt hätten.

„Bei günstiger Auslegung handelt es sich um keine Kritik am Islam, sondern an der Islamisierung“, begründete er seine Entscheidung. Es komme auf den Bedeutungsinhalt dieser Aussagen an. Seien diese mehrdeutig, habe das Gericht im Zweifel für die Angeklagten zu entscheiden.

Dem Prozess waren umfangreiche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Graz vorausgegangen. Seit ihrer Gründung 2012 in Österreich versuche die Gruppe, ihre fremdenfeindliche Ideologie zu verbreiten, so die Meinung der Grazer Staatsanwaltschaft. Dabei nutzten sie die zunehmende Angst der Bevölkerung vor Terroranschlägen, um den Islam generell mit islamistischem Terror gleichzusetzen.

Nach Auslegung des Richters hätten die Beschuldigten jedoch lediglich den „Prozess der Islamisierung durch politischen, radikalen Islam“ kritisiert. Einige Forderungen der Vereinigung seien mittlerweile verbreitet in der Gesellschaft.

Was Kritiker ihm entgegnen: Es ist nicht nur der von den Angeklagten immer wieder beschworene digitale „Infokrieg“, den sie bereit sind zu führen. Es ist auch die Bereitschaft der Gruppe, sich zu bewaffnen und paramilitärische Camps auszurichten, freilich nur zur Selbstverteidigung.

Dass das Gericht ahnungslos ist, was die Militanz der Gruppe angeht, kann man indessen nicht sagen. Vor dem Straflandesgericht wachten bewaffnete Polizisten. Und Medienvertreter, die über den Prozess berichteten, wurden ausdrücklich ersucht, von der Nennung der Namen des Richters und der Staatsanwälte abzusehen – „im Hinblick auf die besonderen Sicherheitsmaßnahmen“, wie es hieß.

„Geburtshelfer” der Identitären in Deutschland

Auf 30 bis 40 Personen schätzt die österreichische Rechtsextremismus-Expertin Judith Goetz den harten Kern der Identitären in Österreich. Hinzu kämen bis zu 200 Sympathisanten. Von einer Bewegung kann kaum die Rede sein. Der Prozess in Graz hat verdeutlicht, wie wenig relevant die Gruppe noch ist. Schon länger beherrschen ihre sorgsam orchestrierten Bilder von besetzten prestigeträchtigen Orten nicht mehr die Medien.

Der Prozess hat auch Hinweise auf Kontakte zur deutschen Szene aufgezeigt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz bezeichnete einzelne Mitglieder der Vereinigung im Gespräch mit WELT gar als „Geburtshelfer” der Identitären in Deutschland. Hierzulande schätzt der Verfassungsschutz die Mitglieder der Organisation auf rund 500 Personen.

Rechtskräftig sind die Urteile noch nicht, bis Montag will die Staatsanwaltschaft entschieden haben, ob sie Rechtsmittel erheben will. Der Staatsanwalt deutete indes schon während des Prozesses an, weiter ermitteln zu wollen. In einem weiteren Verfahren gegen einige der Angeklagten soll es um Steuerhinterziehung im sechsstelligen Bereich gehen.

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