Steinmeiers Golf-Reise Äquidistanz gegen ungebremste Eskalation

Das Verhältnis zwischen dem sunnitisch-arabischen Golf-Schwergewicht Saudi-Arabien und seinem schiitisch-persischen Erzrivalen Iran war selten so angespannt wie heute. Seit Riad Anfang Januar den schiitischen Kleriker Nimr Al Nimr hinrichten ließ und daraufhin ein wütender Mob die saudische Botschaft in Teheran und das Konsulat in Maschhad attackierte, haben sich die offiziellen saudisch-iranischen Beziehungen weiter verschlechtert: aus „katastrophal“ wurde „nicht länger existent“.

So ist Steinmeiers Shuttle-Diplomatie am Golf vor allem eines: ein Drahtseilakt auf unsicherem Terrain. Trotz kraftmeiernder Rhetorik nach außen sind sowohl das saudische Herrscherhaus als auch die iranische Führungsriege mit gewaltigen Herausforderungen im Innern konfrontiert. Beiden macht der anhaltende Ölpreisverfall zu schaffen. In Riad ringen rivalisierende Machtzentren um das Sagen in der wahhabitischen Monarchie. Auf der iranischen Seite des Golfs gelten die bevorstehenden Parlamentswahlen Ende Februar als wichtiger Stimmungstest für den Öffnungskurs des pragmatischen Präsidenten Hassan Rohani. Dass angesichts dieser heiklen Gemengelage weder von Riad noch von Teheran derzeit große Sprünge zu erwarten sind, wissen auch die Besucher aus Berlin. In dieser Situation sollte die deutsche Außenpolitik behutsam politische Spielräume ausloten und auf leise Töne statt auf markige Forderungen setzen. Auch wenn Boulevardblätter in großen Lettern titeln „Warum lassen wir den Saudis alles durchgehen?“: Deutschland tut gut daran, sich auch künftig gegenüber alten (und neuen) regionalen Partnern nüchtern, unaufgeregt und aus kritischer Distanz zu positionieren. Leisetreterei? Nein, vorausschauende Diplomatie! Die lautstark geführten Debatten, ob nach der Exekution Nimrs Saudi-Arabien aus dem Kreis der „strategischen Partner“ Deutschlands ausgeschlossen oder nach Visiten in Paris und Rom Irans Präsident Rohani nun auch in die deutsche Hauptstadt eingeladen werden soll, sorgen vor allem für innenpolitischen Zündstoff in Berlin. In der Sache sind sie wenig zielführend.

„Das eine tun, ohne das andere zu lassen“

Wer zwischen Riad und Teheran vermitteln will, muss das Vertrauen beider Seiten genießen – ohne für eine der beiden Partei zu ergreifen oder sich gar vor den Karren einseitiger Interessen spannen zu lassen. Iran aktiv in einen Dialog über Wege aus der Syrien-Krise einzubinden, steht dieser Politik ebenso wenig entgegen wie die Lieferung von Patrouillenbooten an Saudi-Arabien, die einem legitimen Stabilitätsinteresse des Königreichs, der Sicherung seiner Seegrenzen, dienen. Oft ist in diesen Tagen von „Äquidistanz“ zwischen den Rivalen am Golf die Rede. Für Deutschland und andere europäische Staaten, die ihre traditionell guten Beziehungen zu den arabischen Golfmonarchien nicht über Bord werfen und zugleich ihr Verhältnis zu Iran ausbauen möchten, dürfte eine „Politik des gleichen Abstands“ allerdings kaum umsetzbar sein. Vielmehr lautet das Gebot der Stunde: „Das eine tun, ohne das andere zu lassen“. Will sagen: Bewältigen lässt sich die schwierige Gratwanderung zwischen Riad und Teheran nur dann, wenn die Öffnung Richtung Iran von den derzeit bis in die Haarspitzen nervösen Golfstaaten nicht als Strategiewechsel zugunsten der Islamischen Republik missverstanden wird.

Dass Steinmeier bereits zum zweiten Mal binnen weniger Monate auf beiden Seiten des Golfs Präsenz zeigt, setzt den richtigen Ton. Denn der Ruf nach einer stärkeren Rolle für die Europäer wird lauter, nicht zuletzt weil die Amerikaner, die dem Nahen und Mittleren Osten lieber heute als morgen den Rücken kehren würden, viel Kredit in der Region verspielt haben. Dass die EU zu einer Art Off-Shore Balancer am Golf wird, ist angesichts begrenzter Mittel schwer vorstellbar. „Gute Dienste“ zu leisten, um Gesprächskanäle zwischen Saudi-Arabien und Iran zu öffnen, liegt jedoch durchaus im Bereich des Möglichen.

faz.net

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