Nach wochenlangem Zoff einigt sich die Große Koalition auf ein neues Asylpaket. Was wird sich ändern? Und wie sind die Reaktionen? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
„Kanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Sigmar Gabriel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer haben sich auf eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik geeinigt.“ So begann eine Meldung bei SPIEGEL ONLINE am 5. November 2015.
Klingt aktuell? Kein Wunder, wortgleich oder zumindest sehr ähnlich begannen die Meldungen vom gestrigen Donnerstagabend, nachdemGabriel vor die Kameras und Mikrofone getreten war und verkündete: Es gibt eine Einigung auf ein neues Asylpaket. Jetzt, so Gabriel, könne es ganz schnell gehen.
Drei Monate lang war es alles andere als schnell gegangen. Auch nach dem Kompromiss vom November sah die Rollenverteilung in der Großen Koalition so aus: Die Kanzlerin gab die Unbeirrbare, die an ihrer Flüchtlingspolitik festhielt. Die CSU unter Führung Seehofers mahnte und zeterte, maulte und polterte, stellte Ultimatum um Ultimatum. Gabriel und seine SPD sagten mal dieses, mal jenes – schien mal die CDU rechts überholen zu wollen, um dann doch wieder links auszuscheren.
Daran wird sich wohl auch nach der nun verkündeten – erneuten – Einigung wenig ändern. Für viele Flüchtlinge, die nach Deutschland wollen, allerdings schon. Der Überblick.
Worauf genau hat sich die Große Koalition jetzt geeinigt?
- Flüchtlinge mit eingeschränktem – im Fachjargon: subsidiärem – Schutz dürfen ihre Familie nicht nach Deutschland holen, zwei Jahre lang soll der Nachzug ausgesetzt werden. Das ist einer der Punkte, die Merkel, Gabriel und Seehofer schon im November verabredet hatten. Es geht hier um jene Hilfesuchenden, die sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen können und auch keinen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, aber dennoch nicht heimgeschickt werden, weil ihnen dort zum Beispiel Folter oder Todesstrafe drohen.
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- Ausnahme: Angehörige von Flüchtlingen, die noch in Flüchtlingscamps in der Türkei, Jordanien und dem Libanon sind – das sind vor allem Syrer. Sie sollen vorrangig mit Kontingenten nach Deutschland geholt werden. Solche Kontingente müssen aber noch auf EU-Ebene vereinbart werden.
- Asylbewerber aus „sicheren Herkunftsstaaten“ will die Koalition künftig in neuen Aufnahmeeinrichtungen unterbringen lassen. Die Asylanträge sollen dort schneller bearbeitet werden.
- Flüchtlinge in solchen Zentren dürfen in Deutschland nicht umherreisen – es ist ihnen untersagt, den Bezirk der für sie zuständigen Ausländerbehörde zu verlassen. Tun sie das doch, werden ihnen Leistungen gestrichen, und das Asylverfahren ruht.
- Asylbewerber sollen für ihre Integrationskurse bezahlen, auf zehn Euro monatlich einigten sich die Koalitionäre.
- Merkel, Gabriel und Seehofer wollen gesundheitlich angeschlagene Flüchtlinge leichter abschieben, nur eine schwere Krankheit soll vor Abschiebung schützen.
- Wie feiern die Koalitionäre ihre Einigung?
- CDU-Chefin Merkel sprach von einem guten Tag und betonte die Handlungsfähigkeit der Koalition. „Ich finde, dass wir sehr viel auf den Weg bringen.“ CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte: „Der Beschluss trägt dazu bei, unser Ziel zu erreichen: die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber spürbar zu reduzieren.“
- Bei CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt klang das ähnlich: „Die Aussetzung des Familiennachzugs ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu reduzieren.“ Die CSU habe immer gefordert, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz für zwei Jahre auszusetzen. „Es ist gut, dass sich die SPD in diesem Punkt bewegt hat.“ CSU-GeneralsekretärAndreas Scheuer sagte: „Hartnäckigkeit zahlt sich aus.“ Und CSU-ChefSeehofer ließ wissen: „Ich bin hoch zufrieden.“
- „Es wurde höchste Zeit, dass ein Kompromiss gefunden wurde“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), fügte aber hinzu: „Die Lösung beim Familiennachzug ist zwar nicht ideal. Insgesamt kann durch das Gesetzespaket aber vieles andere angeschoben werden, das dringend erforderlich ist.“
- Welche Kritik gibt es an dem Paket?
- Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat die Beschlüsse scharf kritisiert. Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte über die Aussetzung des Familiennachzugs: „Das ist ein gravierender Eingriff in das Grundrecht auf das Zusammenleben als Familie.“ Den Betroffenen bleibe damit nur, illegale Wege zu gehen. „Das wird das Geschäft der Schleuser und Schlepper beleben.“ Auch seien weder Marokko noch Algerien ein sicherer Herkunftsstaat, sagte Burkhardt. „Dort finden Menschenrechtsverletzungen statt. Hier wird aus politischem Interesse das Konzept auf diese Staaten zurechtgebogen.
- Was haben Bund und Länder beim Spitzentreffen beschlossen?
- Nach dem Treffen der Großen Koalition kam es zum Spitzentreffen zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten. Sie einigten sich auf die Gründung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern von Bund und Ländern. Die AG soll einen Plan für die bessere Integration von Flüchtlingen erarbeiten. Laut Merkel sollen bis Ende Februar erste Eckpunkt stehen, bis Ende März dann ein Konzept. Die Integration der Flüchtlinge sei das „vorherrschende Projekt“ der kommenden Jahre.
- Über Finanzielles sei noch nicht gesprochen worden, sagte Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD). Aber die Einrichtung der Runde sei ein Meilenstein und ein großer Schritt hin zur „Beherrschbarkeit der Situation“.
- spiegel.de